Auf den Spuren von Sibelius
Über „Höranker“ und „Ohrenöffner“ nicht nur bei Jugendlichen
Angehende Musiklehrkräfte blasen gemeinsam mit der Konzertpädagogin Susanne Grünig zum Lauschangriff auf die 2. Sinfonie von Jean Sibelius
45 Minuten sinfonische Musik…
das kann man Schülerinnen und Schülern ab der 6. Klasse wohl kaum zumuten. Sibelius 2. Sinfonie ist so umfangreich, so schwierig zugänglich, bis man das erlösende Finale erreicht auch zum Teil ganz schön schwermütig – ein echter Brocken! Singen Sie doch bitte einmal spontan ein Thema oder ein Motiv aus den vier Sätzen an. Geht nicht?
Geht doch! Und zwar im Rahmen der NDR-Spurensuche gemeinsam mit der Konzertpädagogin Susanne Grünig und einer intensiven, handlungsorientierten, unterhaltsamen und liebevoll gestalteten Einführung in diese eindrucksvolle finnische Musik.
Den Musikreferendarinnen und Musikreferendaren aus dem Fachseminar Musik von Ole Oltmann (Studienseminar Hannover 1 für das Lehramt an Gymnasien) liegt die Musikvermittlung genauso am Herzen wie Susanne Grünig. Die einen stehen dazu an ihren Gymnasien und Gesamtschulen im Musikraum vor unterschiedlichen Klassen, die andere darf den Kleinen und Großen Sendesaal des NDR als ganz besonders attraktiv ausgestatteten Musikraum bezeichnen und hat bei der Spurensuche mit bis zu 400 Schülerinnen und Schülern mehrere Klassen unterschiedlichster Schulformen gleichzeitig vor sich. Alle verfolgen dabei aber das gleiche Ziel: einen möglichst eindrucksvollen, aktivierenden und faszinierenden Zugang zu einer – besonders in diesem Fall – anspruchsvollen sinfonischen Musik zu ermöglichen.
In zwei Workshops hat uns Susanne Grünig ihren konzertpädagogischen Ansatz zur Musikvermittlung näher gebracht. Es wurde sehr schnell offensichtlich, dass die Konzertpädagogik und die Musikpädagogik sehr viele Ähnlichkeiten und Berührungspunkte aufweisen: Bei beiden steht die Musik und ihr Rezipient, also die Schülerinnen und Schüler, im Mittelpunkt eines möglichst aktiven Prozesses der musikalischen Auseinandersetzung. Bevor wir uns aber um die Schülerperspektive kümmern konnten, ging es zunächst darum, selbst einen Zugang zur 2. Sinfonie von Jean Sibelius zu finden. Susanne Grünig gab uns eine Hausaufgabe auf: „Hört euch die Sinfonie an, so häufig es geht, beim Abwaschen, beim Auto fahren, beim Aufräumen oder Joggen, beim Einschlafen oder Aufwachen! Notiert die Gedanken, die euch dabei durch den Kopf gehen. Merkt euch besondere Assoziationen, die durch bestimmte musikalische Klänge entstehen. Findet prägnante Stellen, die im Gedächtnis bleiben.“
Damit machten wir uns auf die Suche nach Hörankern und Ohrenöffnern. Jeder war sofort von dem pulsierenden und crescendierenden Klangteppich in den Streichern zu Beginn der Sinfonie in den Bann gezogen. Darüber komponiert Sibelius eine volksliedhaft schlichte Melodie in den Oboen und Klarinetten, die im zweiten Teil genauso klingt wie der Anfang von „Es klappert die Mühle am rauschenden Bach“.
Oder der coole „walking bass“ im 2. Satz, der ziemlich orientierungslos umherzuirren scheint, bis ihn endlich das Fagott mit seiner melancholischen Melodie versucht, an die Hand zu nehmen. Das gelingt aber nur bedingt, weil der Kontrabass im Dreierschritt (Triolen) und das Fagott im Zweierschritt (Duolen) unterwegs ist. Still und glatt wie ein malerisch gelegener See in Finnland klingt das Oboenmotiv im 3. Satz: neunmal wird der Ton b’ repetiert, bevor sich die Melodie in kleinen Wellenbewegungen hin- und herwindet. Eine eindrucksvolle Klangmalerei. Und natürlich der hymnische Einsatz im vierten Satz. Dass diese Melodie zur heimlichen Nationalhymne der nach Freiheit strebenden Finnen wurde, kann jeder auf Anhieb nachvollziehen.
Auf diesem Weg konnten wir einen großen Pool an Hörankern und Ohrenöffnern sammeln. Was bei uns funktioniert, sollte wohl auch bei den Schülerinnen und Schülern gelingen. Mit einer Vielzahl an Ideen im Gepäck besuchten die angehenden Musiklehrkräfte in Teams bereits im Vorfeld der Spurensuche einzelne teilnehmende Klassen in den Schulen, um diese Schülerinnen und Schüler noch individueller und intensiver auf das Konzerterlebnis im NDR vorzubereiten.
Einige Ohrwurmmelodien wurden mit Texten unterlegt, sodass sie gemeinsam mit den Jugendlichen gesungen werden konnten.
Es wurden Geschichten rund um die Sinfonie und den Komponisten erzählt. Immer wieder wurden ausgewählte Themen und Motive darüber hinaus auch gehört, gespielt, geklatscht oder in Bewegung umgesetzt.
Auf diese Weise waren vier Klassen schon sehr gut vorbereitet, als sie am 21.03.2019 morgens in den Kleinen Sendesaal des NDR kamen, um die Spurensuche als zusätzliche Einführung in das großartige Werk zu erleben. Susanne Grünig hat zusammen mit den Musikreferendarinnen und Musikreferendaren weitere Höranker und Ohrenöffner präsentiert. Das Fachseminar Musik hat dabei nach eigenen Arrangements selbst die Musik gespielt.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatten sich bei uns die Melodien ganz tief ins Gedächtnis eingepflanzt. Die vielen Schülerinnen und Schüler haben auch
engagiert und aktiv mitgemacht, sodass sie vielfältige Zugänge zu dieser Musik finden konnten, um im Anschluss im Großen Sendesaal der Generalprobe mit der NDR Radiophilharmonie unter der Leitung von Andrew Manze zu lauschen.
In diesen 45 Minuten waren alle Schülerinnen und Schüler besonders aufmerksam, weil ohnehin zunächst einmal das große Sinfonieorchester in dieser Kulisse eindrucksvoll wirkt und sich jeder ganz besonders auf seine persönlichen Lieblingsstellen in dieser Sinfonie freuen konnte: Dann tippt auf einmal ein Junge mit den Fingerspitzen die Triolen zum „gehenden“ Kontrabass im 2. Satz auf seinem Oberschenkel mit, viele Jugendliche denken bei der Oboenmelodie im 3. Satz an das schöne Bild eines ruhigen finnischen Sees, das sie zuvor noch auf der großen Leinwand gesehen hatten und hinter einem singt ein Mädchen ganz leise die Hymne „Finnland, oh Finnland, jetzt bist du frei“ im 4. Satz mit.
Ganz besonders faszinierend hat die NDR Radiophilharmonie unter der Leitung von Andrew Manze die 2. Sinfonie von Sibelius gespielt. Das gesamte Publikum hat die Freude, Energie und großartige Musikalität dieses Orchesters gespürt und bewundert.
Insgesamt war das aufwändige und intensive Kooperationsprojekt zwischen der NDR Radiophilharmonie, der Konzertpädagogin Susanne Grünig und dem Fachseminar Musik sicherlich ein Erfolg und für alle Beteiligten ein großer Gewinn. Ein besonderer Dank gebührt dem Verein der Freunde & Förderer der NDR Radiophilharmonie, der dieses Musikvermittlungsprojekt durch seine Initiative und großzügige Unterstützung erst möglich gemacht hat.
Hier geht es zum Beitrag auf der Seite des NDR mit weiteren Eindrücken und Bildern zur Spurensuche: Auf den Spuren von Sibelius.
Ole Oltmann
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